Kurz nach „Ich heirate eine Familie“

Eine wirklich originelle deutsche TV-Serie* – gar eine, die im Ausland konkurrenzfähig wäre – kann es in Zukunft nicht mehr geben. Wer´s hoffend glaubt, verkennt philantropisch die Sachlage, denn jene Konsumenten, die originelle Serien mögen, verfügen über reichlich internationale Auswahl, während jene, die den Fernseher überhaupt noch zur vorgeschriebenen Serienzeit einschalten, so gründlich gehandicappt sind, dass sie Originelles gar nicht verstünden, geschweige denn zu schätzen wüssten. So bleibt denn den „Fernsehmachern“ nichts anderes übrig, als für dieses noch vorhandene Publikum zu produzieren, und das ist nun mal vorwiegend sturzdämlich.

Was nicht bedeutet, dass das gesamte Publikum dämlich ist, weiß Gott nicht. Aber die intelligenteren Teile der Gesamtzielgruppe entscheiden eben selbst, wann ihre Serien laufen. Und welche. Und wer The Wire sieht, braucht nicht zusätzlich KDD, wer Scrubs oder House M. D. kennt, braucht nicht Doctor´s Diary, und wer dann noch Kenntnis von der Existenz solcher Serien wie Californication, Mad Men oder Parenthood hat, braucht ja erst recht kein deutsches Angebot mehr – denn wer, um Himmels willen, soll sich das alles ansehen, so viel Zeit hat doch kein Mensch.

Der Hinweis auf die zwei in den USA erfolgreichen Familienserien Parenthood und Modern Family sei hier dennoch gestattet, denn beide (vor allem Parenthood) peilen erfolgreich eine vernachlässigte Zielgruppe an, zu der ich mich zähle und zu der die 6-29jährigen eben nicht gehören: Erwachsene mit Kindern, die ohne Kinder fernsehen.

Familienserien? Die? Mei. Nicht nach deutscher Programmdefinition, denn was hierzulande Familienserie heißt, hat jugendfrei und Richtung Krabbelstube abwärtskompatibel zu sein, findet am Vorabend statt und kreist um Protagonisten wie Dr. Specht oder irgendwelche echten Affen. Erwachsene Themen finden möglichst nicht statt, denn solche würden ja die mitgaffenden Kleinen überfordern oder schlicht langweilen.

Während Modern Family als 25er-Comedy daherkommt und vom RTL-Publikum vermutlich verstanden wird (weshalb die Serie jetzt auf RTL Nitro anläuft), ist Parenthood keinem Genre zuzuordnen, bestenfalls der Dramedy, die es in der hiesigen DIN-A-Schubladen-Wahrnehmung gar nicht geben sollte oder kann oder darf. Im echten Leben aber halten Drama und absurde Komödie ausdauernd Händchen, und in diesem Wissen haben die Parenthood-Macher um Jason Katims ihren Stoff gestaltet: komisch, tragisch, herzlich, um relevante Themen kreisend, ohne wirkliche Lösungen für irgendwas anbieten zu wollen. Die porträtierte Familie Braverman ist groß und besteht aus Rentner-Mom-und-Dad, ihren drei Kindern, deren angeheirateten Gefährten sowie diversen Enkeln, die Basen sind allesamt besetzt, von der heilen normalen Familie, deren jüngstes Kind sich als Autist entpuppt, über den Hallodri-Bruder, dem eine Ex-Liebschaft plötzlich den gemeinsamen 5jährigen Sohn präsentiert, bis zur Karrieretochter mit gut aussendem „Stay-at-home-Dad“, der von lauter flotten Yoga-Müttern angebaggert wird. Klingt solide, ist aber mehr, denn Jason Katims hat vor Parenthood die beste Serie aller Zeiten (Friday Night Lights) mit gestaltet und geschrieben, und wer die kennt, versteht um so besser, weshalb Schauspieler wie Peter Krause (Six Feet Under) und Lauran Graham (Gilmore Girls) sich um die Plätze in der Serie gerissen haben. Denn nicht nur ist die Temperatur des Dargebotenen perfekt gewählt, man findet auch die bewährte FNL-Machart wieder, die im besten Sinn europäisch inspiriert ist: drei Kameras am Set, Vorgaben für die Darsteller nur im notwendigen Maß, Gestaltungsspielraum galore. Und das Ergebnis ist vorhersehbar: Man sieht nicht Schauspielern zu, man ist unter Menschen – und vergisst förmlich, dass zwischen uns und denen nicht nur eine Plastikscheibe steht, sondern Produktionsprozesse, Speichermedien und viele tausend Kilometer.

Einziges Hindernis auf dem Weg zum Teilnehmen: Es gibt keine deutsche Fassung. Und nur die erste Parenthood-Staffel als europataugliche DVD. Für Staffel 2 und die bald folgende 3 empfiehlt sich also bei anhaltender Sehnsucht nach erwachsenem Familienfernsehen die Anschaffung eines NTSC-DVD-Players.

Parenthood: Staffel 1 für zirka 20 Euro beim u.k.-Händler, der Rest höchstens vom anderen Teichufer.
Modern Family: ab 2. April bei RTL Nitro (Pilot: 8. April, 23.50 h, RTL); DVDs (original) beim üblichen Einzelhändler.
* Ja, natürlich, Mensch, mit Ausnahme von Der letzte Bulle, das versteht sich doch wohl von selbst …
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